Offener Brief zur Situation in Kindertageseinrichtungen

In einem offenen Brief haben wir uns an die demokratischen Fraktionen im Sächsischen Landtag, das Sächsische Staatsministerium für Kultus, die demokratischen Fraktionen im Dresdner Stadtrat sowie den Geschäftsbereich Bildung und Jugend gewendet.

Die Sächsische Zeitung berichtete bereits.

Sehr geehrte Damen*[1] und Herren*,

wir wenden uns heute an Sie als politische Verantwortungsträger*innen im Freistaat Sachsen, um auf die Situation in den Kindertageseinrichtungen aufmerksam zu machen. Das vergangene Jahr hat insbesondere Kindern, Jugendlichen und deren Familien, aber auch uns Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe eine Menge abverlangt.

Während der gesamten Pandemie waren und sind die Fachkräfte einer akuten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Kitas und Horte waren durchgehend geöffnet. Ob Notbetreuung oder eingeschränkter Regelbetrieb, zu jedem Zeitpunkt hatten sie direkten Körperkontakt mit den Kindern. Allein in unserer Kita „Pünktchen“ haben sich im Zeitraum Mitte November bis Dezember 2020 zehn Mitarbeitende mit Covid-19 infiziert. Neben den persönlichen Folgen dieser Erkrankung brachte dies enorme personelle Herausforderungen mit sich, die sich durch die strikte Gruppentrennung potenzierten.

Einige Eltern reduzierten verständlicher Weise aufgrund der verkürzten Öffnungszeiten die Betreuungszeit ihrer Kinder. Daher musste die Arbeitszeit der Mitarbeitenden gekürzt werden. Der risikoreichen Arbeit an vorderster Stelle folgte somit auch noch ein geringeres Gehalt.

Inzwischen sind alle Kinder wieder in die Kitas und Horte zurückgekehrt. Kinder und Familien bringen ihre pandemiebedingten Sorgen und Herausforderungen mit in die Einrichtungen. Manche waren fast ein halbes Jahr zu Hause und benötigen nun besonders viel Zuwendung der Fachkräfte, um wieder gut anzukommen und Entwicklungsrückstände aufzuholen. Im Kita-Alltag oft eine unlösbare Aufgabe aufgrund des deutschlandweit schlechtesten Personalschlüssels! Warum wird die Betreuung sächsischer Kinder gegenüber bspw. Kindern aus Baden-Württemberg[2] schlechter gestellt?

Die Anforderungen an das Fachpersonal, die auch wir für nötig halten, sind in den letzten Jahren enorm gestiegen: Qualifizierung zu Themen wie Inklusion, Diversität und Interkulturalität, damit verbundene umfangreichere Dokumentation, intensive Elternarbeit etc. Was nutzt jedoch die beste Qualifikation, wenn es im Kita-Alltag an manchen Tagen nur darum geht, die Kinder den Eltern „satt, sauber und unverletzt“ am Nachmittag zu übergeben? Das reicht uns nicht und widerspricht zudem unserem gesetzlichen Auftrag als Bildungseinrichtung!

Die Kinderzahlen gehen in den nächsten Jahren durch die geburtenschwachen Jahrgänge der Nachwendezeit erheblich zurück. Hier müssen Sie endlich reagieren und die Chance ergreifen, um mehr Personal für weniger Kinder zugunsten der Qualität in den Kitas und Horten zu etablieren. Hier reicht es nicht nur, die Bundesmittel aus dem „Gute-Kita-Gesetz“ oder sogenannten „Aufholpaketen“ weiterzureichen. Nein, hier muss ein generelles Umdenken der sächsischen Politik in der Einstellung gegenüber frühkindlicher Bildung und Erziehung erfolgen. Hier geht es nicht um überforderte Erzieher*innen, sondern um Bildungsgerechtigkeit und das Recht eines jeden Kindes auf bestmögliche Bildung!

Qualitativ hochwertige Arbeit in Kitas legt den Grundstein für weitere Bildungswege und fördert die Chancengerechtigkeit. Sie kann zu einem Ausgleich der finanziell benachteiligten und sozial exkludierten Familien beitragen. Weiterhin lässt sich Qualität an einer intensiven und regelmäßigen Zusammenarbeit mit Eltern messen, die an anderen Stellen das Sozialsystem entlastet. Dies gilt es insbesondere vor dem Hintergrund eines massiven Anstiegs der Kindeswohlgefährdungsmeldungen im Jahr 2020 und 2021, sowie an den Kapazitätsgrenzen arbeitenden Jugendämtern und Familienberatungsstellen zu betonen und zu würdigen.

Lassen Sie Ihren Beteuerungen um das Wohl der Kinder während der Pandemie und den Vorhaben im Koalitionsvertrag auch Taten folgen! Investitionen in frühkindliche Bildung sind Investitionen in unsere Zukunft!

Wir laden Sie recht herzlich in eine unserer Kindertageseinrichtungen ein, um gemeinsam ins Gespräch zu kommen und weiterführende Informationen zur Verfügung zu stellen.

Dresden, den 13. Juli 2021

Heike Heubner-Christa                        Andreas Blume                         Anke Gießler-Lachmann

Geschäftsführerin                                Fachberater                                Vertreterin Fachgruppe Kita

[1] Wir verwenden in unseren Schreiben das Sternchen (Asterisk *), um geschlechtliche Vielfalt abzubilden. Es nimmt Menschen aller Geschlechter in den Blick, auch diejenigen, die sich weder als männlich noch als weiblich definieren (wollen). Zugleich beinhaltet es die kategorische Unabgeschlossenheit von Geschlecht.

[2] https://www.laendermonitor.de/